Es klingt wie eine Liebeserklärung der kleinen Wildbiene an den Hahnenfuß und ist es vielleicht auch. Aber es geht deutlich darüber hinaus: Nie im Leben würde diese Biene beispielsweise auf Löwenzahn, oder auf Raps fliegen. Da können beide noch so verlockend gelb leuchten. Würden auf einen Schlag alle Hahnenfußpflanzen in ihrem Flugradius verschwinden, würde unsere kleine Biene zwangsläufig verhungern. Es ist wie in vielen Beziehungen: Schwierig…und dabei aber eigentlich doch so einfach. Tatsächlich ist die Beziehung der zwei Protagonisten meiner Zeichnung von enormer Tragweite für die Gestaltung jedes Zukunftsgartens.
Momentan nicken da draußen im Garten schon die ersten Schneeglöckchen zaghaft mit ihren Köpfchen. Vielleicht spürt mancher von uns bereits die Sehnsucht nach dem Frühling und seiner Farbpalette, dem Gesumme und Gebrumme in den ersten Blüten. Ich möchte die Gunst des ruhigen Vorfrühlings nutzen um ein bisschen die Trommeln zu schlagen…als Hilferuf für die Hahnenfuß-Scherenbienen und ihre wilden Verwandten da draußen.
Um der Sache auf den Grund zu gehen, müssen wir ein bisschen zurückreisen in die Vergangenheit von Hahnenfuß und Hahnenfußscherenbiene. Genaugenommen müssen wir sogar noch weiter zurück, in die Evolution ihrer beiden Vorfahren.
Evolution bezeichnet ja allgemein den Prozess, in dem diejenigen Lebewesen einen Vorteil hinsichtlich ihrer Fortpflanzung haben, die am besten an die aktuellen Umweltbedingungen angepasst sind. Sie geben ihre Genvariationen an die nächste Generation weiter. Durch evolutionäre Auslese (Selektion) sind Lebewesen im Stande sich an Änderungen ihrer Umwelt anzupassen, bis hin zur Entstehung ganz neuer Arten. Voraussetzung für evolutionäre Entwicklungsprozesse ist geschlechtliche Fortpflanzung. Ohne Sex keine Vielfalt. In der Pflanzenwelt ist die Bestäubung das Äquivalent zur sexuellen, zweigeschlechtlichen Vermehrung der Tiere (2). Unter Bestäubung wiederum versteht man das Aufbringen von Pollen mit männlichen Fortpflanzungszellen auf den Stempel einer anderen Blüte, wo es letztendlich zur Befruchtung, also der Verschmelzung von männlicher und weiblicher Fortpflanzungszelle kommt. Nur durch den Austausch und die Neukombination von Genen können neue Varianten in der nächsten Generation entstehen. Nur dadurch wird ständige Anpassung und Weiterentwicklung möglich.
Vermutlich fing bei Pflanzen alles mit der Verbreitung von Pollen durch Wind an. Und diese Strategie verfolgen viele Pflanzen ja auch heute noch sehr erfolgreich.
In der weiteren Entwicklung könnten dann den Boden bewohnende Tiere, beispielsweise Käfer, Pollen zufällig von einer zur anderen Blüte übertragen haben. Nun können Tiere Pflanzen beträchtlichen Schaden dadurch zufügen, dass sie sie einfach fressen. Deshalb hätte sich die Beziehung zwischen Pflanzen und Tieren auch zu einem gegenseitigen Aufrüsten weiterentwickeln können: Abwehrmechanismen wie Gift und Dornen auf der pflanzlichen, speziellen Anpassungen wie Kauwerkzeuge, Gegengifte usw. auf der tierischen Seite. Solche Entwicklungen gibt es auch tatsächlich. Aber ab dem Zeitpunkt, da Pflanzen Blüten und Früchte entwickelten, waren ihnen Pflanzenfresser prinzipiell nützlich, weil sie Früchte und Pollen ihrer Nahrungspflanzen verbreiteten. Natürlich wurde dabei auch Pollen einfach aufgefressen. Aber Tiere können sich im Gegensatz zu Pflanzen von Ort zu Ort bewegen. Und in dem Moment, in dem Tiere als Nebeneffekt der Futtersuche den Pollen effektiv verteilten, lösten sie für die Pflanze das Problem der Ortsgebundenheit. Der Raub einer gewissen Menge Pollens wurde durch den Vorteil der Pollenverteilung mehr als ausgeglichen.
So richtig spannend wurde es dann allerdings erst mit dem Auftreten von Fluginsekten. Niemand kann Pollen so effektiv verteilen wie ein kleiner, wendiger Flieger. Bei den Insekten selber war die Tatsache, dass sie fliegen können vermutlich der Schlüssel zu ihrer außerordentlich erfolgreichen evolutionären Entwicklung. Wer fliegen kann, kann Futter leichter finden, schneller unterschiedliche Futterquellen aufsuchen, sich leichter neue Lebensräume erschließen, leichter Fortpflanzungspartner finden und natürlich auch leichter fliehen, wenn ein Räuber auftaucht. Blütenpflanzen und deren fliegende Bestäuber haben sich im Verlauf der Evolution von Beginn an gegenseitig beeinflusst. Pflanzen buhlten um die Gunst der kleinen Bestäubungsdienstleister und entwickelten Strategien, Insekten besonders effektiv anzulocken. Beispielsweise indem Pollen besonders verlockend angeboten wurde und schließlich, indem viele Pflanzen zusätzlich Nektar produzierten, um die Bestäuber für ihre Arbeit zu belohnen. Es setzte ein regelrechter Wettbewerb des Anlockens ein, deren Ergebnis eine Fülle an Farben, Formen und Düften bei unseren Blütenpflanzen ist.
Fluginsekten erbeuteten bei einer Pflanze Nektar und Pollen und bestäubten beim Besuch weiterer Pflanzen andere Blüten. Viele Insekten ernährten sich dabei zunehmend von ganz bestimmten Pflanzen. Vielleicht waren sie durch besondere körperliche Merkmale dabei effektiver als andere Insektenarten oder womöglich auch Vögel und hatten dementsprechend eine bessere Ausbeute und in der Folge einen größeren Fortpflanzungserfolg als andere Arten. Vielleicht war ihr Körperbau so beschaffen, ihre Haaranordnung so strukturiert, dass sie bei Ihrer Nahrungssuche besonders effektiv den Pollen von den Staubfäden der einen Blüte, zum Stempel einer anderen Blüte transportierten. Auch für die Pflanze hatte es Vorteile wenn ein Insekt bevorzugt auf den Blüten ihrer Art Futter sammelt: Wenn beispielsweise eine Bienen nach einem Glockenblumenbesuch gleich weiter zur nächsten Glockenblume fliegt anstatt, beispielsweise, zu einer Wildrose, erhöht das natürlich für die Glockenblume die Wahrscheinlichkeit einer Bestäubung durch den Pollen einer anderen Glockenblume. Weil diese Interaktion zwischen einer Insektenart und einer bestimmten Blütenpflanze also für beide vorteilhaft war, wurde sie durch natürliche Selektion verstärkt. Der Fortpflanzungserfolg sowohl des Insekts als auch der Pflanze wurde erhöht. Nach und nach veränderten sich beide weiter so dass ihre Interaktion noch erfolgreicher wurde, bis beispielsweise nur noch diese eine Insektenart in der Lage war den Nektar einer Blüte zu erreichen. Resultat ist eine Beziehung mit extremer gegenseitiger Abhängigkeit, aber auch großem beidseitigem Nutzen.
Diese gegenseitige Beeinflussung zweier Arten nennt man Koevolution (1). Die Individuen zweier Arten beeinflussen dabei wechselseitig die Evolution der jeweils anderen Art. Sie ist teilweise für die unglaubliche Vielfalt an Blüten verantwortlich, an denen wir uns heute freuen können.
Das Ergebnis kann sehr spezifisch sein, so dass eine Pflanzengattung tatsächlich nur von einer Insektenart bestäubt wird. Sie kann aber auch weniger extrem sein. Beispielsweise so dass mehrere Insektenarten als Bestäuber für eine Pflanzengattung dienen. Oder dass umgekehrt eine Insektenart viele unterschiedliche Pflanzengattungen bestäubt.
Am häufigsten ist die wechselseitige Anpassung von Blütenpflanzen an Bienenarten als ihre Bestäuber. Deshalb ist die Bedeutung von unseren rund 600 Bienenarten so außerordentlich groß. Nach dem Grad ihrer Spezialisierung unterscheidet man zwischen (2):
- Hoch spezialisierten Wildbienen (oligolektisch erster Ordnung) Sie sammeln nur die Pollen einer bestimmten Pflanzengattung (Eine Gattung kann wiederum mehrere Arten umfassen). Ein Beispiel ist der Gamander- Ehrenpreis und die Blaue Sandbiene. Oder die in meinem Bild gezeichnete Hahnenfuß- Scherenbiene und die Pflanzengattung Hahnenfuß.
- Spezialisierte Wildbienen (oligolektrisch zweiter Ordnung): Sie sammeln nur die Pollen einer bestimmten Pflanzenfamilie (eine Familie kann mehrere Gattungen mit jeweils mehreren Arten umfassen). Ein Beispiel ist die gezähnte Glanzbiene, die nur Glockenblumengewächse anfliegt.
- Unspezialisierte Wildbienen (polylektrisch): Sie sammeln die Pollen zweier oder mehrerer Pflanzenfamilien. In diese Kategorie fallen sozial lebende Bienenarten wie Honigbienen und Hummeln.
Weil die meisten Wildbienen spezialisierte Pollensammler sind, ist ihre Flugzeit an die Blühdauer „ihrer“ Pflanzen gekoppelt. Ihre Lebenszeit ist im Vergleich zu unspezifischen Bienenarten deutlich kürzer. Ist das Ende der Blütezeit ihrer Lieblingspflanze erreicht, ist auch ihr Leben vorbei.
Du bist meine Blume, Lieblingspflanze und Abhängigkeit. Was bedeutet das für unsere Gärten? Wir brauchen eine Fülle unterschiedlicher Blühpflanzen und ein Blühangebot vom Frühjahr bis zum Herbst. Wenn wir das Etikett „bienenfreundlich“ im Gartenmarkt sehen, sollten wir wissen was tatsächliche Bienenfreundlichkeit bedeutet: Unsere Bienen brauchen ihre Lieblingspflanzen, keinen hochgezüchteten Schnickschnack, keine züchterisch komplett mit Blütenblättern gefüllten Blüten, die kein Futter mehr bieten! Du machst nichts falsch wenn du eine als bienenfreundlich etikettierte Pflanze kaufst. Möglicherweise ist sie ja tatsächlich interessant für spezialisierte Wildbienen. Mindestens werden sich die unspezifischen Brummer (Generalisten), Hummeln und Honigbienen, über das neue Futterangebot freuen und möglicherweise bleibt so ihren wählerischen Verwandten mehr von ihren Lieblingspflanzen, sofern sie im Garten vorhanden sind. Und genau das ist der Punkt. Lieblingspflanzen unserer Wildbienen sind jene Pflanzen, an die sie sich in einem langen Prozess gegenseitiger Evolution angepasst haben. Es sind unsere heimischen Wildpflanzen, von denen es mehr in unseren Gärten braucht, damit Wildbienen eine Überlebenschance haben und wir ihre Vielfalt erhalten können. Ein Stück Rasen in eine Wildblumenwiese umzuwandeln, ist ein guter Anfang. Wie das geht zeige ich dir in meinem nächsten Blogbeitrag.
Die Spezialisierung der Wildbienen geht übrigens sogar noch über die Nahrungssuche hinaus: Ihre Lieblingspflanzen dienen den Bienen nicht nur als Nahrungsquelle, sondern auch zum Nestbau. Verwendet werden unter anderem Laub, Blütenblätter, Mark- oder Holzstückchen sowie Pflanzenhaare. Die Mohn-Mauerbiene beispielsweise nutzt kleine Stückchen von Mohnblüten, um mit ihnen ihr Nest zu tapezieren.
Rezepte für deinen Garten…
Auf der großartigen Homepage Wildbienengarten.de von Mirja Neff findest du detaillierte Pflanzanleitungen für Wildpflanzenbeete mit allen Lieblingspflanzen, die sich Wildbienen wünschen. Schau unbedingt einmal rein:
Wildbiennengarten.de von Mirja Neff
Ein Wort zum Schluss: Die Geschichte hätte auch anders ausgehen können. Beispielsweise wenn sich anstatt Wildbienen und Schwefligen, Fliegen als die wichtigsten Bestäuber entwickelt hätten. Aber glaub mir. Eine Welt in der sich die Blütenpflanzen auf die Anlockung von Fliegen statt Bienen spezialisiert haben, möchtest du dir gar nicht vorstellen, wenn du daran denkst, auf was Fliegen gerne fliegen!
Quellen
(1) Campbell. N, A., Reece, J.B. (2003): Biologie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, Berlin. S 725 f. und 796.
(2) Eder. A. (2018): Wildbienenhelfer. Wildbienen& Blühpflanzen. Verlag Tipp 4, Rheinbach. S 8f. und 194 ff.
Weiterlesen:
Das Buch Wildbienenhelfer von Anja Eder möchte ich jedem unbedingt ans Herz legen, der nach mehr Informationen über Wildbienen und ihre Lieblingspflanzen sucht. Anja Eder hat das Buch so gegliedert, dass es dem Jahresverlauf folgt und nach und nach die im jeweiligen Monat blühenden Pflanzen und ihre Wildbienen vorstellt. Ihre Fotos sind so brillant und wunderschön, dass garantiert jeder nach der Lektüre dieses Buches vom Wesen der Wildbienen verzaubert ist und zum Wildbienenhelfer wird.