wächst mit Wissen:-)
In meinem Garten wohnen Gespenster…in deinem auch? Meine Gespenster sind dicht eingesponnene Sträucher, oder Astpartien von Sträuchern…und können durchaus Sorgenfalten verursachen. Daher heute mal dieser Beruhigungsbeitrag. Denn wie für die meisten Gespenster, gilt auch für diese: Sie sind völlig harmlos.

Wohl am furchteinflößendsten sehen im Mai/ Juni meine Pfaffenhütchen Euonymus europaeus) aus. Sie sind dann jedes Jahr dicht übersponnen von feinen Netzen. Schaut man genauer hin, sieht man darin ein dichtes Gewusel zahlreicher Raupen, die sich an den jungen Blättern sattfressen und sich schließlich verpuppen. Dabei handelt es sich um Gespinstmotten, kleine Flatterkerlchen, die zu den Kleinschmetterlingen gehören. Sie sind wirtspezifisch, sehen aber alle recht ähnlich aus. Es gibt Gespinstmotten, die sich am Pfaffenhütchen entwickeln, solche, die nur Apfelbäume befallen, wieder andere, die du an Schlehen, Traubenkirschen, Pappeln, Weiden oder an Weißdorn findest. Übrigens sind die Raupen aller Gespinstmottenarten für den Menschen gesundheitlich vollkommen unbedenklich, denn sie haben alle keine Brennhaare.

Der Entwicklungszyklus…
Ihnen allen gemeinsam ist die Entwicklung in den namensgebenden „Gespinsten“, die die Raupen vor äußeren Einflüssen wie Regen und Fressfeinden wie Vögeln schützen. Aus den verpuppten Raupen schlüpfen später kleine Schmetterlinge, die dann nach Paarung ihre Eier immer in Eigrüppchen an kleinen Zweigen ihrer spezifischen Wirtspflanze ablegen. Danach passiert erstmal eine sehr lange Weile nichts: Der Mottennachwuchs überwintert nämlich als Ei. Erst im März / April des darauffolgenden Jahres schlüpfen aus den Eiern kleine Raupen, die sich als geselliges Rudel sofort über die leckeren, frischen Triebe hermachen. Das bald erkennbare, feine Gespinst, erzeugen sie als Gemeinschaftswerk. Später hängen die verpuppten Raupen in ihren Kokons dann dicht an dicht dort drin. Übrigens sind sie auch jetzt noch geschützt: Sollte es nämlich in dieser Phase zu Schäden am Netz-Gespinst kommen, werden diese umgehend von einzelnen, so genannten „Wächterraupen“, repariert. Sie leben etwas länger und sichern so ihren verpuppten Artgenossen das Überleben.
Nach etwa zwei Wochen, schlüpfen dann im Juni / Juli aus den Kokons die neuen Falter und der Zyklus beginnt von vorne.

Ist das schlimm für die Pflanzen?
Zurück zum Pfaffenhütchen. Daran bleibt tatsächlich kein einziges Blatt verschont: Die Sträucher werden komplett kahlgefressen. Katastrophe, Angriff mit Todesfolge? Es sieht ja zumindest erstmal so aus, als wäre es das jetzt gewesen für die Pflanzen. Beobachtet man das ganze aber jetzt ein bisschen weiter, dann stellt man fest, dass die Sträucher nach diesem Kahlfraß problemlos und gesund neu austreiben, blühen und fruchten. Für sie stellt die scheinbare Katastrophe also überhaupt keine dar. Natürlich haben die Pflanzen Stress. Aber sie regenerieren sich vollständig. Gespinstmotten bilden nämlich nur eine Generation pro Jahr, so dass der Wirtspflanze ausreichend Zeit für einen zweiten Austrieb und die eigene Vermehrung bleibt.
Übrigens liefert der leicht abbaubare Raupenkot dem Strauch einen Großteil der durch den Blattfraß verlorenen gegangenen Mineral- und Nährstoffe zurück – vielleicht eine kleine Entschädigung…

Eingreifen oder laufen lassen?
Du solltest der Natur hier definitiv freien Lauf lassen, eine Bekämpfung der Raupen ist völlig überflüssig, weil sie in Nahrungsnetze und Regulationskreise eingebunden sind, die am besten vollkommen ohne menschliche Beeinflussung funktionieren können.
Denn Raupen sind die Nahrung für zahlreiche andere Tiere im Ökosystem deines Gartens: Natürliche Gegenspieler / Fressfeinde sind verschiedene Vogelarten, Spinnen und bis zu 80 weitere Insektenarten, darunter auch Raubwanzen, Raupenfliegen, Schlupfwespen sowie Erz- und Brackwespen. Unabhängig davon ob Meisen nun genau DIESE Raupen fressen…Wenn du mal eine Weile Meisen-Eltern dabei beobachtest in welcher Geschwindigkeit sie eine Raupe nach der anderen an ihren nimmersatten Nachwuchs verfüttern, bekommst du eine Ahnung davon dass es eigentlich gar nicht sooooo viele Raupen sind, die da in den Gespinsten hängen.
In Jahren, in denen wir als Folge der Kombination aus einem milden Winter und einem darauffolgenden, trockenen Frühling besonders hohe Raupenpopulationen beobachten, werden außerdem Pilze, Vieren und andere Krankheiten gefördert, die dann die Menge an Raupen und Faltern wieder dezimieren bzw. regulieren.
Aber es sieht doch nicht schön aus…
Und die Optik? Na gut. Da hast du vielleicht einen Punkt. Besonders meine Pfaffenhütchen sehen schon eine Weile erst gruselig, dann traurig aus. Hier ist geschickte Planung gefragt! Du solltest solche Pflanzen eher nicht als Solitär in die Mitte deines Gartens oder direkt neben deine Terrasse pflanzen. Bei mir stehen sie deshalb in einer gemischten Hecke in einer meiner Pufferzonen. Als Nachbarn haben sie Pimpernuss, Faulbaum, rote Heckenkirsche und andere wertvolle einheimische Pflanzen, die die Zeit des „Pfaffenhütchen-Kahlfraßes“ mit ihrem Grün ziemlich gut kaschieren.
Bei Weißdorn habe ich bisher keinen so drastischen Kahlfraß beobachtet, lediglich einige Astpartien wurden eingesponnen und von mir in Ruhe gelassen. Nichts desto trotz stehen auch die Weißdorne deshalb in meinen Pufferzonen.
Und was ist mit Nutzpflanzen?
Bleibt zuletzt noch die Frage wie das bei Apfelbäumen zu bewerten ist. Prinzipiell führen Gespinstmotten hier zu Ertragseinbußen. Ob das schlimm ist oder nicht, musst du davon abhängig machen wie groß und vital dein Bäumchen ist. Hast du einen kleinen Säulenapfel und die Hälfte ist eingesponnen, kann das schon ärgern. Möchtest du hier Gespinstmotten reduzieren, verwende bitte niemals Gift. Ein starker Wasserstrahl reicht vollkommen aus!
Ist dein Apfelbaum groß und gesund und sind nur einige Astpartien umsponnen, kannst du sicherlich ein paar Äpfel weniger in deinem Erntekorb verschmerzen, zu Gunsten von ausreichend Nahrung für die Tierwelt in deinem Garten. Es ist schließlich nicht nur DEIN Garten, sondern er ernährt Viele und du profitierest im Gegenzug kostenlos von Ökosystemleistungen wie Bestäubung, Kompostierung, und Schädlingsbekämpfung. Das sollte dir schon ein paar Äpfel wert sein, finde ich.
Ein Wort zum Schluss…von wegen Wissen und Toleranz und so…
Mit dem Gedanken der Nahrungsnetze und Kreisläufe im Ökosystem im Kopf kann sich dein Blickwinkel ganz neu justieren…schau dir dazu mal diese beiden Pflanzen an…was siehst du?


Genau! Du siehst vollkommen gesunde Blätter. Kein Fraßschaden, nix. Toll ist das. Damit wird im Gartencenter auch explizit geworben.
Findest du den Denkfehler? Richtig! Kein Fraßschaden bedeutet, sie sind als Nahrung für Insekten nicht interessant. Oft kannst du das bei Pflanzen beobachten, die hier nicht heimisch sind. In diesem Fall sind beide Pflanzen asiatischer Herkunft. Sie haben sich evolutionär zusammen mit anderen Insekten entwickelt, die sie aber auf ihren Heimatkontinenten zurückgelassen haben. Das verschafft den Pflanzen hier einen Konkurrenzvorteil gegenüber einheimischen Arten. Weil sie jedoch nicht in das heimische Nahrungsnetze integriert sind, wird der beworbene Pluspunkt für das Ökosystem deines Gartens also eher zum Manko.
Ganz anders diese Pflanze:

Die Fraßschäden an den Blättern kann man wirklich nicht übersehen. Die Mehlbeere ist heiß begehrtes Raupenfutter und somit super in die Nahrungsnetze meines Gartens integriert. Mehlbeere und Insekten haben eine gemeinsame Evolutionsgeschichte hinter sich.
Klar finde auch ich ein gesundes Blatt erstmal schöner als eines, das vollkommen zerfressen ist, ich liebe schließlich Pflanzen. Mit dem Wissen um die Bedeutung der heimischen Arten als Lebensgrundlage unserer Insekten ändert sich aber meine Perspektive auch hinsichtlich der Frage „was ist schön“ im Garten. Ich möchte einen Garten, in dem das Leben tobt, in dem ich das Gefühl habe, dass Natur sein darf, dass Natur wieder einzieht und einen Schutzraum findet. Einen Garten, in dem ich Selbstwirksamkeit erfahre, allen globalen Krisen zum Trotz: Einen Garten, in dem ich Zwergmehlbeeren pflanze und erleben kann, dass sich daraufhin Insekten einfinden, überleben können und vermehren. Das erfüllt mich dann mit tiefer Zufriedenheit, die mehr Wert ist, als das perfekte Blatt einer Magnolie.